Verheißungsorientierte Gemeindearbeit

1. Kor 4,1-5

Bibelarbeit über 1.Kor 4,1-5 beim “Forum verheißungsorientierter Gemeindearbeit”

Wie können wir verheißungsorientiert Gemeinde bauen? Wie gelingt Gemeindeentwicklung zwischen Leistungsdruck und Lethargie?
So das Thema an diesem Tag.

Wir haben gerade das Lied von Jochen Klepper gesungen „Er weckt mich alle Morgen“. Mit Bedacht, weil es gleich auch während des Vortrages immer mal wieder vorkommen wird; weil ich bei Klepper, auch bei seinen anderen Liedern, ganz viel entdecke zur Entlastung für unsere Arbeit, zur Ermutigung für unseren Dienst.

Ende letzten Jahres hat Götz Werner, der Gründer von der Drogeriekette „DM“ ein großes Interview gegeben. Und da heißt es unter anderem bei einer Passage:

„Wenn man tätig ist, braucht man viel Mut, aber das reicht nicht. Man braucht auch Demut, hat man die nicht, führt das schnell zu Übermut. Das wissen die Menschen seit 5000 Jahren, es passiert aber immer wieder. Gerade ein Unternehmer wird seiner Verantwortung nur gerecht, wenn er die Folgen seines Handelns bedenkt. Manchmal lässt sich in Unternehmen beobachten, das die Aktion vor der Reflektion rangiert. Umgekehrt wäre es besser.“ (WAZ vom 17.12.2015)

Auch wenn Gemeinde kein Unternehmen ist, ist das doch ein wichtiger Hinweis für unsere Arbeit: Reflektion vor der Aktion. Die Folgen des Handelns bedenken, erst einmal nachdenken und dann eventuell tun.

Aus dieser Beobachtung, aus dieser Haltung heraus ist das Forum „Verheißungsorientierte Gemeindearbeit“ auch vor neun Jahren entstanden, dass wir gesagt haben:
Wir brauchen ab und zu Orte, wo wir innehalten, wo wir theologisch nachdenken, wo wir etwas reflektieren; und nicht einfach nur pragmatisch irgendetwas machen ohne zu überlegen, was kommt dabei raus oder welche Folgen hat das.

Darum eben verheißungsorientiert Gemeinde bauen, gemeinsam nachdenken, damit eben Gemeindearbeit zwischen Leistungsdruck und Lethargie gelingen kann.

Das ist kein neues Thema.
Paulus hat schon, gerade in der Auseinandersetzung mit der Gemeinde in Korinth, genau darüber nachdenken müssen. Weil Paulus merkt: von den Korinthern wird er immer wieder angefeindet und kritisiert. Es kommt zu Rangeleien, weil es nämlich da in der Gemeinde Fangruppen gibt: Apollos-Freunde, Petrus-Freunde, Paulus-Freunde und dann noch eine ganz fromme Fraktion, die Christus-Freunde.

Und diese Rangeleien, diese Diskussionen sorgen dafür, dass Paulus ständig unter Druck gerät. Gemeinde soll gebaut werden, Gemeinde soll wachsen und: ist Paulus denn dafür der Richtige? Oder ist er nicht der Falsche, ist Apollos oder Petrus oder wer auch immer nicht viel besser, viel geeigneter? Und Paulus gerät da ständig unter Druck, muss sich ständig verteidigen, rechtfertigen bzw. darlegen, warum er etwas macht, wie er etwas macht.

Und aus diesem Kontext also der Text für heute morgen, Gottes Wort, 1. Korinther 4, 1 bis 5:

Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist’s aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.

Acht Schritte habe ich mir überlegt.
Acht Gedankenschritte entlang des Textes.

 

Erster Gedankenschritt: Für wen halten wir uns eigentlich? Oder für wen hält man uns oder wer sind wir eigentlich?

Es gibt solche Szenen in Filmen: „Für wen halten Sie sich eigentlich?“ – wo jemand mit dieser Frage angegriffen wird, weil er irgendetwas gemacht oder gesagt hat, was angeblich ihm nicht zukommt. „Für wen halten Sie sich eigentlich?“

Ja – Für wen halten wir uns?

Paulus fängt an hier: Dafür halte uns jedermann.
Wer ist eigentlich uns? Man könnte denken, dass Paulus an sein Briefschreiber-Team denkt; im ersten Kapitel wird von Sosthenes gesprochen, wobei bis heute keiner genau weiß, wer ist das eigentlich.

Das ist aber unwahrscheinlich, eher wird Paulus denken an die Diskussionslage in Korinth: Petrus, Apollos, Paulus. Wir Verkündiger, wir Prediger, wir, von denen ist die Rede – dafür halte uns jedermann.

Man könnte aber auch noch denken, dass Paulus im Grunde genommen alle Christen im Blick hat, alle Mitarbeiter der Gemeinde, weil er ab Vers 7 sehr heftig sich mit seinem Gegner auseinandersetzt:
Wer gibt dir einen Vorzug? Was hast du, was du nicht empfangen hast? Ihr seid schon satt geworden, seid schon reich geworden??…
Er könnte vielleicht eben auch alle Mitarbeiter im Blick haben.

Also: wofür halten wir uns, wie sieht man uns an?

Die Ausleger vermuten, dass die Gemeinde in Korinth Lust hatte am Zuschauen und Noten vergeben. Wahrscheinlich eine Gemeinde, die auch gerne bei sportlichen Wettkämpfen zusah und von daher es gewohnt war, sich die Akteure an zu gucken und am Ende Punkte zu vergeben; und dementsprechend dann auch Fans zu werden; Fan von dem oder Fan von dem….
Dieses sportliche Denken wird übertragen in den Raum der Gemeinde: Lust am rhetorischen Wettkampf. Paulus predigt schlechter als Apollos, also kriegt Apollos mehr Punkte…schließlich ist Apollos sowieso besser als Paulus.
Bei dieser Wettkampfsituation, bei diesem ständigen Vergleichen und Noten geben, kommt Paulus unter die Räder bzw. gerät Paulus in Bedrängnis, weil sein Auftreten schwach ist, seine Rhetorik schlecht und: überhaupt seine Krankheit… und überhaupt der Paulus…

Dafür halte uns jedermann.

Wir sind nicht Akteure und der Rest Zuschauer. Wir sind nicht die Vorturner, die von den Noten der anderen abhängig sind.
Aber wer sind wir denn dann?

Wer sind wir eigentlich? Leiterinnen oder Angestellte? Chefs? Diener von allen? Manager, Seelsorgerinnen? Visionäre? Pfarrer? Pastorinnen, Verkündigerinnen? Woher kommt der Maßstab, wer wir eigentlich sind?

Dafür halte uns jedermann. Wofür sollen wir uns halten?

Ich bin gestolpert darüber, dass die Vokabeln, die hier genutzt werden, Wort für Wort dieselben sind in wie Matthäus 16, wo Jesus seine Jünger fragt:

“Wofür halten die Leute den Menschensohn? Wie ist so die Gesprächslage über mich? Wofür halten die Leute mich?” Dieselben Vokabeln.

Und Petrus dann für die Jünger antwortet: “Du bist Christus!” Darauf Jesus: “Petrus, das hast du dir nicht selber ausgedacht, sondern ist dir von oben eingegeben worden, ein Geschenk des Heiligen Geistes.”

Könnte es sein, dass wir bei der Frage „Wer sind wir eigentlich, wofür halten wir uns?“ genau darauf angewiesen sind, dass die Antwort von oben kommt? Also nicht von den Gemeindemitgliedern, nicht von uns selber, sondern dass Gottes Geist, Gott selbst uns Identität schenkt, Selbstbewusstsein, Selbstverständnis.

Bonhoeffer schreibt in seinem Gedicht „Wer bin ich“ vom Juli 1944, ganz am Ende: „Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, oh Gott.“ (Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 514)

Und ähnlich, noch einmal anders, Hans Joachim Eckstein:
„Auf die Frage: wer ich bin, gibt es tausend Antworten; ein jeder der mich kennt, gibt eine andere. Aber welche davon ist die zutreffende? Und gibt es verschiedene Antworten, welche davon ist für mich verbindlich? …
Bin ich vielleicht das, was ich tue? Beschränkt sich gar mein Wert auf den Wert meiner Arbeit? … So ziehe ich mich still in mich zurück, um bei mir selbst zu hören. Doch sind die Stimmen, die ich da vernehme zu meiner Überraschung genau dieselben, die ich auch draußen höre. Es tönt in mir so, wie es draußen klang und meine Bilder von mir selber sind die gleichen, die andere von mir haben. …
Bei meiner Suche nach der Person, die ich über alles andere schätze, auf deren Meinung ich mehr als auf die aller anderen gebe, komme ich, mein Gott, auf dich – und frage dich: Wer bin ich?
Ich bin dein Ebenbild, dein Gegenüber!
Du liebst mich – also bin ich. Ich bin von dir geliebt – das bin ich!“
(HJ Eckstein, Du liebst mich – also bin ich, S.9f)

Wofür soll man uns halten, wer sind wir eigentlich?

Die Frage nach unserer Identität lebt von der Beziehung, die wir zu Gott haben, so dass wir in ihm unsere Identität finden.
Das macht unabhängig von Erfolg oder Misserfolg, von Beifall oder Missfallskundgebung.

Das ist schwer, aber nötig. Wenn wir wie bei einem Zirkel uns selber einstechen in Gott, uns verankern in Gott, und dort wie ein Zirkel unsere Mitte gefunden haben, dann sind wir fest verankert; und können dementsprechend weite Kreise schlagen und sind wirklich Leute, die gestalten und weit ausholen können, bei dem was sie so tun. Dann haben wir einen großen Spielraum. Wir sind frei, weil wir in der Mitte gehalten werden.
So macht das auch Paulus, er sagt: Dafür halte uns jedermann, nämlich für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.

 

Zweiter Gedanke: Wir sind Gottes Handlanger, seine Diener, seine Haushalter.

Paulus macht damit schon einmal klar: wir sind keine Stars, keine Sportstars, keine Virtuosen, keine Genies, keine charismatischen Visionäre, sondern wir sind Handlanger – Gottes Handlanger. Wir gehören nicht uns selbst. Wir sind auch nicht der Menschen Knechte, auch nicht die Knechte von Ruhm, Geld, Zahlen, Erfolg, sondern wir sind Diener Christi.

Gottes Haushalter.
Der Begriff sagt eigentlich: da ist jemand, der geht einem Vorgesetzten, einem höher Gestellten zur Hand.

Das sind wir, wir gehen einem Vorgesetzten, einem höher Gestellten zur Hand. Anders herum: dieser Vorgesetzte, dieser Herr, verfügt über uns. Gott verfügt über uns. Je nach Gottesbild kann man sich darüber freuen oder es mit der Angst zu tun bekommen. Gott verfügt über uns. Wie macht er das?

Wir haben eben gesungen bei Jochen Klepper, 4. Strophe:

Er ist mir täglich nahe
Und spricht mich selbst gerecht.
Was ich von ihm empfange,
Gibt sonst kein Herr dem Knecht.
Wie wohl hat’s hier der Sklave,
Der Herr hält sich bereit,
Dass er ihn aus dem Schlafe
Zu seinem Dienst geleit.

Wir sind Diener Christi und wir haben einen gegenwärtigen Herrn, der Euch und mir Geleitschutz gibt.

Das Bild mit dem Haushalter ist bei uns belegt von Jesu Gleichnissen. Da ist oft die Rede davon, dass wir Verwalter sind bzw. Haushalter… und die Gleichnisse laufen immer so: der Herr geht weg und die Haushalter bleiben da und müssen es alleine richten.

So manche Pastorin, so mancher Pfarrer lebt auch so: Christus ist weg und jetzt soll ich den Christus spielen…

Nein! Wir sind nicht Christus, denn Christus ist ja da. Und wir dürfen in seiner Gemeinschaft, wo er uns Geleitschutz gibt, unter seinem Geleitschutz Haushalter sein, als seine Diener arbeiten.

Was macht ein Haushalter? Der verwaltet das Eigentum und auch die Leute, die seinem Herrn gehören.

Dahinter steckt, dass der Herr seinem Haushalter vertraut.
Gott vertraut uns, Gott vertraut Dir. Er sieht unsere Arbeit nicht misstrauisch, sondern er sagt: Ich trau dir zu, dass du das machst.
Wir können und dürfen und sollen gestalten, handeln, tun mit dem, was er uns geschenkt hat.

Luther sagt: „Höre doch lieber Mensch, Christo dienen und Gott dienen, heißt vornehmlich bei Sankt Paulo ein Amt führen, das ihm Christus befohlen hat, nämlich das Predigen.“ Und jetzt kommt es: „Es ist ein Dienst, der von Christo, nicht zu Christo geht, und der nicht von uns, sondern zu uns kommt.“ (zit. von Karl Gerhard Steck in: G. Eichholz (Hg.), Herr tue meine Lippen auf, Bd 2, 28)

Gott dient in Christus mir, ich werde beschenkt und kann davon weitergeben. Ich muss keine Punkte bei Gott sammeln und irgendwie Gott dienen, sondern ich werde von Christus beschenkt, er vertraut mir etwas an und das kann durch mich weitergehen zu den anderen.

So haben wir gerade gesungen bei Jochen Klepper (3. Strophe):

Er will, dass ich mich füge.
Ich gehe nicht zurück.
Hab nur in ihm Genüge,
In seinem Wort mein Glück.
Ich werde nicht zuschanden,
Wenn ich nur ihn vernehm.

Da ist Gott, der mich beschenkt mit seinem Wort, der gibt mir etwas und das darf ich dann weitergeben.

Und genauso 5. Strophe:

Er will mich früh umhüllen
mit seinem Wort und Licht,
verheißen und erfüllen,
damit mir nichts gebricht.

Gott sorgt dafür, dass ich mit dem beschenkt werde, was ich dann anderen weitergeben darf. Aus diesem Denken heraus, aus diesem Hintergrund heraus ist unser geistliches Leben so wichtig:
Dass wir einen Ort haben, wo wir Gott begegnen, ganz für uns; und wo wir beschenkt werden von seinem Wort, von dem was er uns gibt – was wir dann weitergeben dürfen. Gott beschenkt uns, damit wir dienen können bei anderen; wir leben von seinem Schenken.

Darum unseren Zirkel da einstechen in der Gottesbegegnung – dann haben wir ganz viele Gestaltungsmöglichkeiten, weil wir unseren Halt und unsere Kraft bei Christus finden.

Bonhoeffer schreibt bei seinen Gedanken zur Gestaltung des Morgens: „Nicht die Angst vor dem Tag, nicht die Last der Werke, die ich zu tun vorhabe, sondern der Herr ‚weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, das ich höre wie ein Jünger’, so heißt es vom Knecht Gottes (Jes 50,4).“ Und später: „Wer einmal ein ausfüllendes geistliches Amt versehen und nicht in Betriebsamkeit sich und seine Arbeit zu Grunde richten will, der lerne bei Zeiten die geistliche Disziplin des Dieners Jesu Christi. Der junge Theologe wird es als eine große Hilfe erfahren, wenn er sich für sein stilles Gebet und für die Andacht feste Zeiten setzt, die er in großer Beharrlichkeit und Geduld einhält.“ (O. Dudzus (HG.), Dietrich Bonhoeffer, Predigten – Auslegungen – Meditationen, Bd 2, 187)

Ich bin groß geworden in einer FeG; als Kind, als Teenager ist mir immer eingetrichtert worden: “mach bloß deine stille Zeit”. Das war immer mit diesem Bild verbunden, als ob ich da was leisten müsse. Gott wird zum Dompteur, der mir einen Reifen hinhält und ich muss da durchspringen und dann ist Gott zufrieden. Folge;: ich mache “stille Zeit”, damit Gott zufrieden ist.

Bis ich irgendwann entdeckt habe: es geht ja um etwas ganz anderes! Da ist ein Ort, wo ich sein darf, wo ich beschenkt werde. Da gibt es einen Ort, wo ich „Ich“ sein darf, so wie ich bin; mit Gaben und Grenzen; da ist jemand, der mir das gibt, was ich heute brauche.

Mit der Folge, dass ich in meinem Dienst die Erfahrung mache: ich arbeite zwar, aber es wirkt ein anderer. Oder ich rede, aber zu Wort kommt ein anderer. Darum geht es. Da einstechen, den Zirkel, seinen Lebensmittelpunkt, um dann von Christus beschenkt zu werden – Diener Christi sein, Haushalter Gottes sein.

Das entscheidende ist jetzt, was Paulus in Kapitel 3 schon gesagt hat – ich lese es kurz vor: Auch hier geht Paulus auf diese Frage ein, wer ist den Apollos, wer ist Petrus, wer sind wir eigentlich… 1. Korinther 3, ab Vers 5:

5 Wer ist nun Apollos? Wer ist Paulus? Diener sind sie, durch die ihr gläubig geworden seid, und das, wie es der Herr einem jeden gegeben hat:
6 Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben.
7 So ist nun weder der pflanzt noch der begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.

Gott ist der, der es macht. Gott schenkt Gemeindeentwicklung, Gott schenkt Wachstum, Reife und was weiß ich – durch uns, aber er macht das.

Das ist ganz entlastend für einen Haushalter – für uns. Gott macht durch uns, Gott macht das. „Gott macht die Kirche zu dem, was sie ist, nicht wir“, hat Bonhoeffer gesagt.

Deshalb ganz fröhlich und ganz gelassen: Diener Christi, Haushalter sein.

Haushalter wovon?

 

3. Punkt: von Gottes Geheimnissen – wir sind Verwalter von Gottes Geheimnissen.

Ein Geheimnis ist kein Rätsel, das ich knacken kann. Ein Geheimnis wird mir anvertraut, es ist ein Schatz, ein hohes Gut, wo ich ehrfürchtig und andächtig mit umgehe.

Klaus Berger übersetzt die Stelle hier: „Wir sind Hüter der verborgenen Schätze Gottes. “  Es geht um etwas Kostbares, um ein Geheimnis, mit dem ich andächtig und ehrfürchtig umgehe.

Meine Frage ist: Wo ist heute der Geheimnischarakter dessen, was wir verkündigen und was wir glauben? Gibt es einen Geheimnischarakter? Mein Eindruck ist – der mag falsch sein – dass in den unseren Breitengraden wir doch alles wissen, so treten wir doch jedenfalls auf.

Bei dem, was man liest und hört, hat man so oft den Eindruck: wir haben doch alle Gott rechts und links und über die Schulter geguckt, und alles ist klar: wir haben alles und wir wissen alles.

Tomáš Halík schreibt sehr klar und auch sehr bissig:
„Wer auch immer in dem Glauben eingeführt wird, muss klar gesagt bekommen, dass er in die Welt des Geheimnisses und der Tiefe eingeführt wird. Ferner das Jesus kein ‚Kamerad’ ist, mit dem ich mich mal eben so zu einem ‚Schwatz treffen kann’, und Gott dann der Papa“, dem „wir jetzt gleich noch wunderschön ein Hurra entgegen schreien und nochmals ein Hurra und dann noch ein Alleluja für den Herrn Jesus.“ Und dann später: „Sobald sich ein Mensch an Simplifizierungen, Trivialisierungen, ans Banalisieren und an das Gefühl gewöhnt, dass er das alles schon intus hat, ist das eine Todeskrankheit. Am ehesten endet sie damit, dass der Mensch entweder religiös verdummt oder dass er jegliche Religion früher oder später verachtungsvoll verwerfen wird.“ (Tomáš Halík, Nachtgedanken eines Beichtvaters, 89)

Das hat mich sehr ins Nachdenken gebracht: wie wir predigen, verkündigen, leben, hören, sprechen über Glauben, über Gott, über Christus, über das Kreuz – gibt es bei uns ein Geheimnischarakter?
Oder sind wir die, die alles wissen und alles in Griff haben und alles ist klar und alles ist einfach und schön und Punkt?

Halík schreibt: „Wer den lebendigen Gott suchen will und Christus wahrlich nachzufolgen gedenkt, der muss den Mut aufbringen über der Tiefe zu schwimmen und nicht im seichten Gewässer. Gott ist nämlich die Tiefe, und im Seichten gibt es gar nichts.“ (Tomáš Halík, Nachtgedanken eines Beichtvaters, 88)

Haushalter über Gottes Geheimnisse, Hüter der verborgenen Schätze Gottes. Ehrfurcht, Achtung, Respekt.

Ein Geheimnis kann ich auch nicht selbst entdecken, das muss mir jemand anvertrauen. Das Evangelium kann ich mir nicht selber sagen, es muss mir jemand sagen von Außen. Das Wort vom Kreuz, das Paulus in 1. Korinther 1 und 2 entfaltet hat, ist nicht Menschen-logisch, ist nicht hier durch unser eigenes Erkennen zu verstehen, es muss mir geoffenbart werden.

Karl Gerhard Steck schreibt: „Das Evangelium ist Geheimnis Gottes und bleibt das auch in der irdisch-geschichtlichen Vermittlung durch seine Zeugen.“ (Karl Gerhard Steck in: G. Eichholz (Hg.), Herr tue meine Lippen auf, Bd 2, 34)

Wenn wir predigen, ist es ein Geheimnis, dass auf einmal Menschen davon betroffen werden. Es ist ein Geheimnis, dass Leute unter der Verkündigung froh werden, heil werden, dankbar Vergebung entdecken, was auch immer. Das ist ein Geheimnis, das Gott schenkt, was wir selber nicht machen können.

Karl Barth hat treffend formuliert: wir sollen über Gott reden, nur das können wir eigentlich gar nicht; weil das nicht geht, es ist ein Geheimnis. Ist uns das noch bewusst? Ich habe beim Nachdenken gedacht: das dürfen wir neu entdecken, dass das ein Geheimnis ist.

Damit zusammen hängt auch die Erkenntnis und die Demut, dass ich, der ich verkündige, keinen größeren Einblick in die Geheimnisse Gottes habe als die, die mir zuhören.

Wir sitzen alle im selben Boot, weil wir alle miteinander brauchen, dass von Außen her uns jemand diese Geheimnisse öffnet: Gottes guter Geist und Schwestern und Brüder, die uns etwas zusagen.
Da sitzen wir alle im selben Boot.

Von daher geht es darum, dass wir bei alledem, was wir tun, Gott um sein Wirken bitten, dass Gott redet. Dass wir zwar reden, aber zu Wort kommt jemand anderes.

Das ist auch sehr entlastend für unsere Gemeindearbeit: zu wissen, es kommt von Christus her, auch alle missionarische Gemeindearbeit.

Wolfgang Vorländer schreibt: „Wenn wir das Evangelium anderen bezeugen wollen, dann muss etwas in uns sterben, nämlich unsere falsche Selbsteinschätzung als seien wir die Habenden … Das genau ist es was die Menschen verletzt, wenn wir so zu ihnen sprechen als liege unsere eigene Hilfsbedürftigkeit schon längst hinter uns… Allmählich beginnen wir… zu ahnen, welche Freiheit und Freude daraus erwächst, anderen das Evangelium zu bezeugen aus der Haltung der eigenen Bedürftigkeit…
Mission macht auf einmal Freude und alle atmen auf, wo wir nur noch eins tun: das wenige, das wir selber vom Evangelium begriffen haben mit anderen zu teilen.“ (W. Vorländer, Gottes Gastfreundschaft im Leben der Gemeinde, 66)

Verwalter von Gottes Geheimnissen.

Dieser Spur mal nachgehen, was das heißt: wie wir predigen, welche Begriffe wir benutzen, welche Haltung wir haben? Das wird eine ganz spannende Spur für uns alle, glaube ich.

Vierter Gedanke: Was wird denn jetzt von dem Diener Christi, von dem Verwalter gefordert?

Man fordert nichts anderes, sagt Paulus in Vers 2, als dass diese Verwalter und Diener für treu befunden werden. Das ist das einzige: sie sollen treu sein. Luther schreibt: „Hier fraget niemand, ob jemand Klein- oder Großbistum habe; ja auch nicht zu sehr, ob er fromm oder nicht fromm sei, sondern danach ist zu fragen, ob er treulich sein Amt ausrichtet und tue es als ein Haushalter in Gottes Gütern. “ (zit. von Karl Gerhard Steck in: G. Eichholz (Hg.), Herr tue meine Lippen auf, Bd 2, 30)

Das, finde ich, könnte man ganz groß kopieren und in jede Gemeinde und Kirche aufhängen!
Hier fragt niemand, ob jemand Klein- oder Großbistum habe… wonach fragen wir, wir uns selber, die Leute aus unseren Kirchen und Gemeinde, was man von den Verkündigern erwarten soll? Es gibt nur eins, sie sollen treu sein. Treu. Sie können deshalb treu sein, weil sie von der Treue Gottes leben.

Wir haben gerade gesungen, Jochen Klepper, zweite Strophe:

Das Wort der ewgen Treue,
Die Gott uns Menschen schwört,
Erfahre ich aufs Neue
So, wie ein Jünger hört.

Jeden Morgen davon leben, dass Gott treu ist. So startet auch der 1. Korintherbrief, Kapitel 1, Vers 9: Denn Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn. Davon leben wir: von der Treue Gottes – und dass wir treu sind, spiegelt das nur wider. Weil Gott uns treu ist, können wir treu sein.

Dieses Stichwort Treue ist hier ein Beziehungsbegriff. Weil wir von der Beziehung mit Gott leben, von der Gemeinschaft mit ihm, von seiner Treue geprägt werden, werden wir befähigt auch treu zu sein.

Klaus Teschner, der Gründervater von Missionale, prägte diesen Satz: „Es geht darum nicht high zu sein, sondern treu.“ Nicht high, sondern treu. Das muss man gerade den Korinthern sagen, wenn man sieht, dass sie von Paulus ekstatische Erfahrungen erwarten; ihn sich als euphorischen Redner wünschen. Da schneidet Paulus nicht gut ab.

Nicht high, sondern treu. Ich habe gedacht: der Satz ist bis heute ein wichtiger Satz. Was prägt uns eigentlich, was erwarten die Menschen, was erwarten wir von uns selber? Es geht nur um Treue. Geht das heute?

Der Soziologe Heinz Bude hat im Blick auf den Arbeitsmarkt folgende Beobachtung gemacht, die ich direkt auf unsere Situation übertragen könnte. Da heißt es bei der Frage nach Vermittlungen von Arbeitssuchenden, dass „die Auswahlprozesse und Ausscheidungswettbewerbe … undurchsichtiger geworden“ sind, „weil bei den gleichen Kompetenzen auf einmal das ‚gewisse Etwas’ entscheide. Mit dem Wunderbegriff der ‚Performanz’ kommt etwas Unberechenbares und trotzdem anscheinend Erlernbares ins Spiel“, das den einen glücklich und den anderen dumm da stehen lässt. (Heinz Bude, Das Unbehagen der bürgerlichen Mitte, in APuZ 49/2014, S. 48)

Performance ist gefragt.
Oder Götz Werner sagt: „Wir leben in einer Gesellschaft, die einem Beeindruckungsbombardement ausgeliefert ist.“ (WAZ vom 17.12.2015)

Man muss sich gut verkaufen können, eine gute Performance liefern, muss die Leute beeindrucken. Das erwarten die Korinther von Paulus: du musst uns beeindrucken, dein Auftritt, deine Rede, dein visionäres Gehabe muss beeindruckend sein.

Lasst uns gemeinsam immer wieder darüber nachdenken, auch mit unseren Kirchen und Gemeinden: Was ist eigentlich die Aufgabe von Christinnen und Christen, von Mitarbeitenden, von Verkündigern des Evangeliums? Was ist das entscheidende Kriterium?

Beeindrucken? Genial sein? Performance? Ständig diakonische, missionarische Höchstleistungen? Paulus sagt: Treue.

Treue.

Die Beziehung zu Gott gestalten, von Gottes Treue leben. Die Beziehung zu Menschen gestalten, auch zu Menschen treu sein.
Und: auch mir selbst treu sein! Identisch, authentisch sein, mir selbst treu sein. Mit meinen Gaben und Grenzen verantwortlich umgehen und mich nicht jagen lassen von irgendeinem Erwartungs- oder Erfolgsdruck.

Götz Werner sagt in diesem Interview: „Wenn mich jemand dazu drängt, Ziele zu erreichen, die ich selbst unter normalen Umständen nicht schaffen kann, dann fange ich möglicherweise an zu manipulieren. Wenn Ziele verabsolutiert werden, führt das dazu, dass Mitarbeiter sich nicht mehr nach dem gesunden Menschenverstand richten, sondern nur noch nach dem Wunsch, das gesteckte Ziel zu erreichen. Dann geraten sie unter Druck und verhalten sich unangemessen im Kleinen wie im Großen.“ (WAZ vom 17.12.2015)

Das müsste man mal durch buchstabieren im Blick auf die Ziele, die wir uns selber setzen, die Gemeinden sich setzt, die in Presbyterien und Gemeindeleitungen formuliert werden.
Welche Ziele sind das? Kann man die erreichen, wenn ich zu mir selbst treu bleiben will mit meinen Gaben und Grenzen?

Ist das nicht eine heillose Überforderung? Sind es Ziele, die den gesunden Menschenverstand widersprechen?
Der gesunde Menschenverstand ist ein Bruder, eine Schwester des Heiligen Geistes. Karl Barth: „Es gibt keinen intimeren Freund des gesunden Menschenverstandes als den des Heiligen Geistes. Und keine gründlichere Normalisierung des Menschen als die im Widerfahrnis seines Werkes.“ (KD IV,4, 31)

Da lasst uns hingucken und treu bleiben und treu sein. Mehr nicht.

Jetzt geht es ans Richten –

 

5. Abschied von der Richterskala.

Richten ist hier das Hauptverb, viermal ‚anakrinein’, einmal ‚krinein“, das ist hier im Zentrum.

Bei der Vorbereitung fiel mir eine Szene ein, die über 10 Jahre her ist:
April 2005, Papst Johannes Paul II. war gerade gestorben, ich nahm an einer theologische Woche teil, Mittagessen. Neben mir saßen zwei Kollegen, die sich ernsthaft unterhielten, ob den Papst Johannes Paul II. wohl in den Himmel käme. Und sie wussten noch einen dritten Kollegen, der das einordnen und beurteilen konnte: der hatte gesagt, das klappt… wie schrecklich, diese Haltung, die dahinter aufleuchtet!

Wir richten gerne. Das richten liegt uns – und je frommer, umso mehr.

Paulus hält in seinen Briefen ständig dagegen: Richtet nicht. Auch hier: Ist mir völlig egal, ob ihr in Korinth oder andere Menschen mich richten; auch ich selber richte mich nicht, denn: der Herr ist es, der mich richtet.

Beim Richten geht es in Korinth nicht darum, ob man pünktlich ist, ob man zuverlässig seine Aufträge erledigt, ob man höflich ist und einen gewissen Fleiß an den Tag legt – da braucht man natürlich kritische Rückmeldung; das muss man u.U. auch lernen, da müssen wir auch manchmal hören: Mensch, das könntest du noch ein bisschen besser machen…
Doch das ist hier nicht gemeint.

Es geht hier um ein geistliches Richten: Wo ist die Vollmacht des Paulus? Wo ist deine geistliche Ausstrahlung? Warum bekehren sich nicht mehr unter deiner Verkündigung? Bei Apollos geschieht doch viel mehr – darum geht es.

Wer richtet uns? Wie bewerten wir unseren Dienst, nach welchen Kriterien? Wer baut Druck auf, Erfolgs- und Leistungsdruck?

Rudolf Bohren schreibt in der Biografie über Eduard Thurneysen folgende kleine Szene:
Eduard Thurneysen begegnet einem Evangelisten aus Ungarn und dieser Evangelist fragt Eduard Thurneysen: „“Herr Thurneysen, wie viele Seelen haben sich bei Ihnen bekehrt?“ Eduard Thurneysen nach einigem Zögern: „Es kommt nicht darauf an, das ich die Zahl weiß. Aber das ist entscheidend, dass Gott sie kennt, und es mir einmal sagt.“

Wie viele haben sich bekehrt?

Vor 10 – 12 Jahren hat mir jemand ein Dokument zugespielt mit einer Liste: dort waren die Top Ten der Kirchengemeinden notiert, in denen angeblich die meisten Bekehrungen passieren. Auf Platz 1 war eine Gemeinde in einer Stadt aufgelistet, in der ich zufällig den Baptistenpastor kenne. Dieser Baptistenpastor leitete dort eine große Lebensberatungspraxis – und er sagte zu mir: die meisten Ratsuchenden kommen aus dieser Gemeinde. Also aus derselben Gemeinde, wo die meisten Bekehrungen stattfinden – weil die Menschen mit der Verkündigung dort auf Dauer nicht klarkommen, weil sie nicht dem Leben dient.

Richtet nicht.

Das ist, glaube ich, unsere ganz große Not, dass wir alle in uns selber eine ganz große Richterskala haben, die nach oben offen ist. Eine Skala, mit der wir uns auch selber richten – dazu sagt Paulus hier: „Ich richte mich auch selber nicht.“, weil er genau weiß: wir haben so oft einen kleinen Mann, eine kleine Frau im Ohr, die entweder den Druck von Außen weitergibt oder mit der wir uns selber Druck machen.

Das Wort “richten” was hier steht, anakrinein, heißt auch: bewerten, befragen, untersuchen, ein Verhör führen, jemanden prüfen.

Wie oft prüfen wir uns selber, führen ein Verhör mit uns selber?
Nein, sagt Paulus, in dieser Sache, in diesen geistlichen Vollzügen ist kein Mensch mein Richter und auch kein Gericht von Menschen zuständig, sondern der Herr. Dem bin ich verantwortlich, weil ich sein Diener bin, aber sonst niemandem.

Darum sagt Paulus: Selbst wenn mir gar nichts auffiele, wenn mir kein Unrecht bekannt wäre, keine geistliche Entgleisung und nichts einfallen würde, selbst darin bin ich nicht gerechtfertigt, weil er der Richter ist.

Darum

 

6. Stichwort Rechtfertigung: wer rechtfertigt eigentlich wen?

Rechtfertigung im biblischen Sinne ist immer etwas, was von Außen kommt; ich kann mich nicht selber rechtfertigen.

Adolf Schlatter schreibt an dieser Stelle: „Als Glaubender erwirkt er sich die Rechtfertigung nicht durch ein Verhör, das er mit sich selbst vornimmt, nicht durch die Wertung seines Verhaltens, sondern findet in der Tat des Christus, der ihm die göttliche Gnade gibt, seine Gerechtigkeit. Darum sind Gerechtigkeit des Glaubens und Selbstbeurteilung Gegensätze, die sich zerstören.“ (Schlatter, Paulus – Der Bote Jesu, 149)

Was ist das für eine Befreiung, wenn man das entdecken und leben lernen kann: Ich muss mir nicht selber zu meinem Recht verhelfen, ich muss mich nicht selber rechtfertigen, sondern ich bin in Christus verankert.

Wir haben eben gesungen bei Jochen Klepper:

Ich werde nicht zuschanden,
Wenn ich nur ihn vernehm.

Wenn ich nur ihn vernehme, keine anderen vernehme oder ich mich selber vernehme, sondern ihn vernehme.

Gott löst mich aus den Banden.
Gott macht mich ihm genehm.

Er ist mir täglich nahe
Und spricht mich selbst gerecht.

Das macht frei. Gott ist mir täglich nahe und spricht mich selbst gerecht. Das macht frei, und so als ein frei gewordener Diener Christi Tag für Tag leben, verkündigen, Seelsorge üben, was auch immer man tut – so kann man selbstvergessen arbeiten. Selbstvergessen.

Ich muss nicht Fieber messen: genug bekehrt, genug gebetet, genug geglaubt, genug Vollmacht, genug geistliches Charisma…??
Nein – ich kann selbstvergessen dienen, weil „…er ist mir täglich nahe und spricht mich selbst gerecht, ich werde nicht zuschanden, wenn ich nur ihn vernehme.“

Das macht frei für unseren Dienst.

 

Siebtens: Alles kommt ans Licht.

Gegen Ende heißt es: weil der Herr der Richter ist, wird auch das, was im Finsteren verborgen ist, unser Trachten des Herzens ans Licht kommen.
„Au weia“ kann man nur sagen, was wird da alles ans Licht kommen? Was wird da alles sichtbar werden, wenn am Ende Christus mal auspackt, was er in unseren Herzen so findet? Da kann einem ja schon angst und bange werden, oder?

Ich muss manchmal schwer stöhnen, wenn in gewissen Gottesdiensten Leute sagen: „Jetzt wollen wir mal mit ganzem Herzen Gott loben und mit ganzer Seele!“ Das hört sich fromm an, aber wenn wir ehrlich sind: was ist denn bei uns in unseren Herzen alles drinnen? Und in unserer Seele? Wenn ich ehrlich bin: wie viel Eitelkeit, Verzagtheit, Ehrgeiz, Unglaube, Machtgeilheit und und und – was ist da alles drinnen versteckt?

Das wird alles ans Licht kommen – und die spannende Frage ist jetzt: Was ist das denn für ein Licht, das Christus selber ist bzw. das Christus mitbringt? Ist das ein Suchscheinwerfer, wie an der ehemaligen deutsch- deutschen Grenze? Oder das Licht beim Zahnarzt? Oder eher die Wärmelampe, unter deren Lichtschein Leben aufbricht und Leben sich entfalten kann? Was für ein Licht ist Christus?

Bonhoeffer schreibt in einer Predigt in London 1933:
„Die Bibel will uns nie Angst machen. Gott will nicht, dass der Mensch sich fürchtet. Auch nicht vor dem letzten Gericht. Sondern er lässt den Menschen das alles wissen, damit er erkenne, was es um das Leben und um seinen Sinn ist.
Er lässt es die Menschen heute schon wissen, damit sie heute schon in der Offenheit und im Licht des letzten Gerichtes ihr Leben führen…
Denn er schickt uns das Wort vom Gericht nur, damit wir umso leidenschaftlicher, umso gieriger nach der Verheißung der Gnade Gottes greifen…
Denn Christus richtet. Das ist wahrhaftig ernst, aber ‚Christus richtet’, das heißt doch…: der Barmherzige richtet, der unter den Zöllnern und Sündern gelebt hat, der versucht ist gleich wie wir, der unsere Leiden, unsere Angst, unsere Wunden am eigenen Leib ertragen und erlitten hat, der uns kennt und uns bei unseren Namen gerufen hat.
Christus richtet, das heißt die Gnade ist Richter und die Vergebung und die Liebe. Und wer sich an sie klammert, der ist schon freigesprochen. Wer sich freilich auf sein eigenes Werk berufen will, den wird Christus auch nach diesem Werk richten und verurteilen.“ (O. Dudzus (HG.), Dietrich Bonhoeffer, Predigten – Auslegungen – Meditationen, Bd 1, 393)

Es geht um dieses Licht, diese Wärmelampe, die Leben gebiert. Verheißung der Gnade Gottes, Barmherzigkeit, die Christus uns schenkt; darauf gehen wir zu, deshalb brauchen wir davor keine Angst haben.
Er ist der, der richtet und da darf alles ans Licht kommen, weil es von Christus heilsam umfangen und geheilt wird.

Ähnlich wie zum Beispiel bei einem guten Chirurgen, der Brüche zurechtrichtet. Der Bruch wird zwar gerichtet, tut noch höllisch weh, unter Umständen, aber doch nur, damit alles wieder heil wird und jemand wieder fröhlich ins Leben einsteigt.
Also nicht fertig machen und kaputt machen und zerstören, sondern aufrichten, geraderichten, damit das Leben weiter Gestalt gewinnt.

So wird das sein bei Christus: heilsames Licht, Wärmelicht, wo Leben sich entfalten kann.

 

Und das letzte: Am Ende werden wir gelobt.

Dieses Gotteswort hier endet mit einem Satz, bei dem man eigentlich nur den Atem anhalten kann: “Dann wird einem jedem von Gott sein Lob zuteil werden.” Einem Ausleger war das nicht geheuer; er schreibt, dass meine Paulus bestimmt nur ironisch, weil er damit sich auseinandersetzen will mit seinen Feinden in Korinth.
Aber die meisten Ausleger sehen das so, wie ich das auch sehe, dass er das von ganzem Herzen ernst meint: ein jedem, einer jeden wird von Gott sein Lob zuteil. Beifall, volle Anerkennung, da wird etwas hoch geschätzt, da wird Lob verteilt. Das steht am Ende.

Jochen Klepper, haben wir eben gesungen:

Will vollen Lohn mir zahlen,
Fragt nicht, ob ich versag.

Oder bei dem Lied von Jochen Klepper, „Die Nacht ist vorgedrungen“:

„Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt,
als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.“

Der lebendige Gott, dem wir dienen, ist kein Geizkragen, kein Despot, kein kärglicher Dienstherr, sondern jemand der am Ende uns empfängt und uns lobt. Der dankbar ist, für das, was wir als seine Verwalterinnen, seine Diener tun.

Das sind Aussichten, die uns heute ermutigen und gelassen und getrost und fröhlich machen können. Dass wir angesichts dieser Verheißungen Gottes arbeiten können ohne Leistungsdruck, ohne Erfolgsdruck, in aller Treue im Vertrauen auf diesen Christus.

Einen schönen Satz von Theresa von Avila, den ich uns am Schluss gönnen möchte; sie schreibt:
„Nicht fürchten vergeblich zu arbeiten, denn wir dienen einem Gott, der gut ist und der uns nicht aus dem Auge verliert.“

Danke für’ s Zuhören.

Pfarrer Mag. theol.
Lars Linder
Falterweg 50
45279 Essen

Zurück zur Übersicht
chevron-down